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Rachel

Stadtführerin und Tänzerin, Berlin, queer

Seit mehr als zehn Jahren lebe ich jetzt in Berlin. Geboren bin ich in Amerika. Meine Kindheit war stark vom Judentum geprägt. Wir besuchten regelmäßig die Synagoge und das Gemeindezentrum. Als Alleinerziehende fand meine Mutter große Unterstützung in der jüdischen Community. Ich war froh, nach meiner Bat Mizwa endlich mehr eigene Entscheidungen treffen zu können. Andere Freizeitaktivitäten bedeuteten mir als Jugendliche mehr als das Gemeindeleben und auf dem College spielte meine jüdische Identität eher keine Rolle für mich. An den Gedanken, dass ich Deutschland als meine Heimat gewählt habe, musste sich meine Familie zunächst gewöhnen. Meine beiden Großväter haben im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft und einer gehörte wahrscheinlich zu den Befreiern von Dachau. Sie wissen aber mittlerweile, dass ich in Berlin sehr glücklich bin, und haben meine Entscheidung akzeptiert.

Erst seitdem ich in Deutschland lebe, wurde auch mein Jüdischsein wieder wichtiger. Ich arbeite als Stadtführerin zur jüdischen Geschichte Berlins und besonders jüdischen Touristengruppen scheint es wichtig zu sein, dass ich Jüdin bin. Auf diese Weise habe ich mich meiner jüdischen Identität angenähert und identifiziere mich erneut mit meinem jüdischen Background. Allerdings gehe ich nicht in die Synagoge, da ich die dort noch häufig gelebten altmodischen patriarchalischen Strukturen als einschränkend empfinde. Meines Erachtens bräuchten gerade die Institutionen sehr viel mehr Angebote für junge Menschen. Auf diese Weise würden sich die Gemeinden vielerorts verjüngen. Aber ich mag die jüdische Kultur und ihre Traditionen. Ich pflege heute jüdische Rituale, für die ich mich als Jugendliche weniger begeistern konnte. Mit meiner Community veranstalte ich beispielsweise jedes Jahr ein queeres Seder-Essen und ich entzünde regelmäßig die Kerzen meiner Menora.

"Ich möchte als Jüdin in Deutschland nicht nur als Opfer betrachtet werden. Ich bin lebendig und kein Relikt der Geschichte und wünsche mir, dass Jüd*innen in Deutschland als Menschen wie du und ich und als Teil der Gegenwart wahrgenommen werden."

Mein Judentum und meine Queerness zu vereinbaren, habe ich nie als problematisch empfunden. Das liegt sicherlich auch an den Menschen, mit denen ich mich umgebe. Mit verschiedenen jüdischen Kolleg*innen organisiere ich die Kabarettshow Jews! Jews! Jews!. Ein Name, den man so schnell nicht vergisst! All die Menschen, die Teil unseres Kabaretts sind, sind, wenn sie nicht jüdisch sind, auf jeden Fall queer oder gehören einer marginalisierten Gruppe an. Schließlich ist unsere Show ja auch ein queeres Kabarett. Meine zweite Karriere ist der ausdrucksstarke Burlesque-Tanz. Ich tanze schon, seit ich laufen kann. Es macht mich glücklich und bedeutet mir sehr viel. Als Burlesque-Tänzerin genieße ich zusätzlich die Freiheit, auf der Bühne mein Konzept, meine Kostüme und meine Choreographie zu präsentieren. Beim Burlesque-Tanz stehen auch gesellschaftlich verankerte Körpernormen, die an Frauen gerichtet sind, nicht so sehr im Mittelpunkt. 

Als Jüdin in Deutschland bin ich allerdings auch mit verschiedenen Klischees konfrontiert, wie z. B. mit der Aussage, ich sähe eigentlich gar nicht jüdisch aus. Wie sehen Juden denn aus? Zudem begegne ich immer wieder Menschen, die noch nie Jüd*innen getroffen haben. Sie verbinden Jüd*innen lediglich mit dem Holocaust. Diese Verknüpfung und die begrenzte Sicht auf das Judentum sind äußerst frustrierend. Ich möchte als Jüdin in Deutschland nicht nur als Opfer betrachtet werden. Ich bin lebendig und kein Relikt der Geschichte und wünsche mir, dass Jüd*innen in Deutschland als Menschen wie du und ich und als Teil der Gegenwart wahrgenommen werden. Auch die Betrachtung von Symbolen des Judentums sollte losgelöst sein von beschränkten Kategorien wie Weltkriegsgeschichte, Israel oder Orthodoxie. Für mich persönlich sind Toleranz und Akzeptanz Grundpfeiler des Jüdischseins. Queerness und jüdische Kultur sind Teile meiner Identität. Beides lebe ich auch in meiner Arbeit. Meine queerlesque Community und ich machen die jüdische kulturelle Vielfalt in Berlin sichtbarer und haben Spaß dabei.

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