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Michal

Lehrerin und Bildungsreferentin, Queer-Feministin, Frankfurt am Main

In der Gesellschaft gibt es bestimmte Vorstellungen von religiösen Personen und erst recht von religiösen Jüdinnen. Queere Menschen stellt sich die Mehrheit meist als nichtreligiös vor. Vielen fällt es schwer, beides zusammen zu denken. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass sich Queerness und Religiosität wunderbar vereinbaren lassen. Einen Ort, um beides sein zu können, habe ich im Egalitären Minjan in der jüdischen Gemeinde Frankfurt gefunden. Diese Gemeinde war ein wichtiger Ankerpunkt, als ich, in der ehemaligen DDR sozialisiert, Anfang der 2000er nach Frankfurt gezogen bin. Religion spielte in meiner Familie und meinem Umfeld keine Rolle. Diese Zeit des Umbruchs hat mich nachhaltig geprägt und es tat gut, diese vielfältige und internationale Gemeinschaft im Minjan zu haben.

Der Begriff „religiös“ ist mir sehr sympathisch und bezieht sich in erster Linie auf die religiöse Praxis. Dazu gehören Besuche der Synagoge, die Teilnahme an Gottesdiensten und ihre Mitgestaltung sowie die Begehung von Feiertagen. Die Chanukka-Feier beispielsweise, die ich seit vielen Jahren mit mehreren Freund*innen feiere, hat schon Tradition. Der wichtigste Feiertag für mich ist der Schabbat, den ich freitags mit meiner Partnerin oder im Egalitären Minjan begrüße. Zur jüdisch-religiösen Praxis zähle ich zudem gleichermaßen das Lernen wie das Lehren. Beim Lernen sind neben dem Gebet das Selbststudium und die Auseinandersetzung mit dem Text zentral. Das ist etwas sehr Jüdisches.

"Von der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft wünsche ich mir mehr Wahrnehmung und Anerkennung der großen Bandbreite an kultureller und religiöser Vielfalt."

Für mich hat mein Beruf auch eine politische Dimension, was in meinen Fächern Geschichte und Politik & Wirtschaft Ausdruck findet. Heute sind feministische Ansichten unter jungen Mädchen eher verbreitet und auch Jungen hinterfragen bestimmte Bilder von Männlichkeit. Trotzdem überwiegen gängige Lebenskonzepte, die die gesellschaftlichen Erwartungen von einer Mann-Frau-Beziehung erfüllen. Geschlechtliche und sexuelle Diversität ist die Ausnahme. Die Betrachtung der sozialen Konstruktion von Geschlecht mit all seinen Rollenzuweisungen gehört für mich zum Queer-Feminismus. Für mich bedeutet queer sein immer auch, feministisch zu sein. Queer ist für mich nicht nur eine Sichtweise auf die Gesellschaft, sondern eine Haltung, eine Kritik und Infragestellung des gesellschaftlichen Zwangs zur Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität. Dazu gehört meines Erachtens auch, die eigenen Privilegien sichtbar zu machen. 

Eine Norm, die auch nicht hinterfragt wird, ist die christlich-säkularisierte Kultur. In ihr gelten heterosexuelle Partnerschaften als selbstverständlich. Hier gibt es Mechanismen der Ausgrenzung, der Marginalisierung und der Ignoranz gegenüber dem Anderen und vermeintlich Fremden. Im Geschichtsunterricht beispielsweise kommen Juden*Jüdinnen überwiegend im Kontext der Pestpogrome und Kreuzzüge im Mittelalter und des Holocausts in der Neuzeit vor. Sie sind keine handelnden Akteure, haben keine Subjektivität, keine eigene Kulturproduktion und dienen nur der Erläuterung historischer Ereignisse. In Schulbüchern werden keine Selbstbilder von Juden*Jüdinnen vorgestellt, so dass stets nur eine Bestätigung bereits vorhandener Konzepte als Verfolgte und Opfer erfolgt. Aber auch Kolonialgeschichte und die Geschlechtergeschichte sind meist nicht Teil einer Lehrer*innenausbildung.

Von der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft wünsche ich mir mehr Wahrnehmung und Anerkennung der großen Bandbreite an kultureller und religiöser Vielfalt. Dass ich seit 20 Jahren in Frauenbeziehungen lebe und jüdisch bin, ist vollkommen normal für mich. All denjenigen, die durch Ängste nicht geoutet sind, wünsche ich Verbündete inner- und außerhalb jüdischer Kontexte, die sie in ihrer Entscheidung frei zu leben bestärken. Lehrerin, Bildungsreferentin und queer-feministische Aktivistin zu sein, prägt mein Leben. Ich bin praktizierende Jüdin und genderqueer, das verstecke ich nicht. In der Schule empfinde ich es als sehr schön, einfach Frau Sch. zu sein, egal ob ich einen Rock oder einen Anzug mit Krawatte trage.

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