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Julia

Aktivistin/Beraterin/Model, Koblenz, Trans-Frau

Mein Leben lang begleiten mich die Themen Liebe und Religion. Mein gesamter Freundeskreis bestand bis zu meinem erzwungenen Outing aus Menschen, die in der Kirche aktiv sind. Meine Eltern – Mutter Baptistin, Vater Mennonit – haben sich auf einer Reise nach Israel kennengelernt. Unser Familienleben war immer eng mit der Gemeinde verbunden. Mein Vater war Diakon und ein wichtiges Bindeglied zwischen der Stadt und unserer Gemeinde. In meiner Kindheit gab es keinen Fernseher, also keinen „Verführer“, der ablenkte, und die Röcke der Frauen mussten mindestens knielang sein. Schon als ich ca. sechs Jahre alt war, probierte ich heimlich die Kleider und das Make-up meiner Mutter. Wenn ich erwischt wurde, zitierte man mir die Bibel, es sei Sünde und Männer dürften keine Frauenkleider tragen. Aber wer legt fest, ob ich ein Mann bin? Warum entscheiden andere, wie ich sein muss?

Das war aber auch der einzige Makel an meiner sonst glücklichen Kindheit. Erst mit dem Theologiestudium in Bonn machte es klick. Ich verstand, dass die Bibel unterschiedlich ausgelegt werden kann, und ich hinterfragte vieles, was ich mein Leben lang gehört hatte. Allerdings fehlte mir noch der Mut, das auch zu äußern. Zu dem Zeitpunkt war ich in einer sogenannten heteronormativen Mann-Frau-Beziehung verlobt. Meine Verlobte wusste alles, wurde aber mit dem nahenden Heiratstermin immer unsicherer und verlangte von mir plötzlich eine Konversionstherapie. Da wurde mir durch mein Studium bewusst: Trans zu sein ist ein Teil meiner Identität. Es gehört zu mir und geht nicht weg. Dagegen ankämpfen ist sinnlos. Ich bin auch nicht krank. 

"Heute lebe ich selbstbestimmt. Für mich kommt es darauf an, wie meine Beziehung zu Gott ist und nicht, wie mich andere Menschen bewerten."

Die Verlobung wurde gelöst und das Studium war eine Reise zu mir selbst. Ich musste wissen, wer ich eigentlich bin, und ich lernte, dass in der Bibel, z. B. bei Matthäus, Trans- und Intersexuelle vorkommen. Plötzlich verstand ich: Gott liebt bedingungslos! Diese innere Überzeugung manifestierte sich mehr und mehr.

Mein Outing als Trans-Frau verlief sehr dramatisch. Den Zeitpunkt, dieses lebensverändernde Ereignis sozialverträglich zu kommunizieren, konnte ich nicht selbst bestimmen. Ich hätte es mir anders, nicht von außen aufgezwungen, gewünscht. Andererseits weiß ich nicht, ob ich alleine je den Mut dazu hätte. Aber die Tatsache, dass ich kein Doppelleben mehr führen muss, hat mir eine enorme Last abgenommen. Das überstrahlt viele negative Dinge wie den Verrat durch die eigene Partnerin, den Verlust fast meines gesamten sozialen Umfelds, meiner Freundschaften und vor allem den Bruch mit meiner Familie. Diese Verletzungen waren wie ein Weltuntergang für mich. Ständig stand ich unter Rechtfertigungszwang, und zwar nicht nur in einem Konflikt, sondern in sehr vielen. Einige brachen den Kontakt zu mir ab. Andere musste ich selbst lösen, wobei die Trennung von meiner frisch verwitweten Mutter die schmerzhafteste war. „Irgendwie überleben“ war der einzige Instinkt, der mich noch angetrieben hat und dann musste ich ja auch noch mit meiner Transition klarkommen. So begann mein Engagement in der Community und heute bin ich dort eine der Leitfiguren, worauf ich zurückblickend sehr stolz bin. Jetzt arbeite ich ehrenamtlich in der Öffentlichkeits- und Pressearbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Dort kann ich dazu beitragen, dass sich die Situation von queeren Menschen bundesweit verbessert. So war ich in verschiedene Gesetzgebungsverfahren involviert, wie z. B. beim Gesetz zum Verbot von Konversionstherapien oder der aktuellen Diskussion zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Für mein Engagement wurde ich von einem Frauenmagazin zu den beeindruckendsten Frauen 2020 gewählt und dieses Jahr bin ich sogar für den Ehrenamtspreis nominiert. Religion spielt für mich immer noch eine bedeutende Rolle und meine religiöse Überzeugung ist existenzieller Bestandteil meines Lebens. Heute lebe ich selbstbestimmt. Für mich kommt es darauf an, wie meine Beziehung zu Gott ist und nicht, wie mich andere Menschen bewerten.

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