Springe zum Hauptbereich
Alle Landesmuseen in Schleswig-HolsteinAlle Landesmuseen in SH

„Jüdische Geschichte beginnt und endet nicht mit dem Holocaust“

Jonas Kuhn, der Leiter des Jüdischen Museums, spricht über die Entstehung der neuen Dauerausstellung – und gibt einen Einblick, was Besuchende mit der Eröffnung Anfang Juni in Rendsburg erwartet.

Herr Kuhn, das Jüdische Museum öffnet seine Türen mit einer komplett neuen Dauerausstellung, inklusive diverser Baumaßnahmen. Was sind die Gründe für diesen großen Veränderungsprozess? Und was erwartet uns alle dort?
Alles hat seine Zeit – und unsere Dauerausstellung war einfach nicht mehr zeitgemäß. Die Sehgewohnheiten unserer Besuchenden haben sich genauso verändert, wie museale Präsentationen. Aber auch unser Blick auf die Repräsentation von Minderheiten in Gegenwart und Geschichte im Museum ist heute nicht mehr der gleiche, wie noch vor 20 Jahren. Zum Beispiel gab es in Deutschland im Umgang mit jüdischer Geschichte lange einen Fokus auf die Schoa. Die lange jüdische Geschichte, auf dem Gebiet von Schleswig-Holstein immerhin über 400 Jahre, die vielfältige jüdische Kultur sowie die handelnden Akteur*innen sind dabei oft unsichtbar geblieben. Jüdische Geschichte beginnt und endet aber nicht mit der Schoa. Jüdische Gegenwarten waren bei uns im Museum bislang kaum Thema. Wir finden es aber wichtig zu zeigen, dass jüdisches Leben vielfältig war und ist und das Judentum mehr als eine Religion ist. Wir zeigen daher Positionen und Selbstverständnis von Jüdinnen*Juden heute. Insgesamt bieten wir in unserer neuen Dauerausstellung (historische) Fakten – verbunden mit neuen Einblicken und ungewohnten Perspektiven.

Und wie sind Sie zu den neuen Einblicken und Perspektiven gekommen?
Die Frage ist gut und berechtigt – und hat bei uns einen hohen Stellenwert. Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit einem wissenschaftlichen Beirat sowie unterschiedlichsten Personen und Gruppen zusammengearbeitet, mit jüdischen und nichtjüdischen Expert*innen aus dem gesamten Bundesgebiet, wie auch mit verschiedenen Personenkreisen vor Ort.

Wo lagen die Schwerpunkte in der Zusammenarbeit?
Als ein nichtjüdisches Museumsteam war der Austausch mit Jüdinnen*Juden aus Schleswig-Holstein - darunter sind Vertreter*innen der beiden Landesverbände sowie der neun jüdischen Gemeinden - von großer Bedeutung für uns. Der Grund ist simpel: Wir als Museum haben eine Deutungsmacht darüber inne, was als „jüdisch“ gilt. Für viele Menschen sind Museen wie unseres der einzige Kontaktpunkt mit dem Judentum. Deswegen ist es umso wichtiger mit Jüdinnen*Juden darüber im Austausch zu sein, wie sie in unserem Museum repräsentiert werden möchten. 

Wie haben Austausch und Unterstützung ausgesehen?
Die Teilnehmenden haben bei der Erarbeitung des Narrativs zur jüngsten Vergangenheit und zur Gegenwart und beim Gestaltungskonzept ihre für uns sehr wichtigen Perspektiven eingebracht. Sie haben uns Exponate zur Verfügung gestellt, waren beim Schreiben und Korrigieren der Texte eingebunden und sind mit ihren Geschichten durch Film- und Fotoaufnahmen in der Ausstellung sichtbar. Dazu fanden in den letzten zweieinhalb Jahren mehr als 17 Workshops und unzählige weitere Termine und Telefonate statt. Gleichzeitig haben wir diverse Expert*innengespräche mit Jüdinnen*Juden aus dem Bereich der Kunst, Kultur und politischen Bildung geführt.

Dabei dürfte ja auch die Frage eine Rolle gespielt haben, welches Publikum Sie im Rahmen dieses Prozesses im Blick haben… 
Wir möchten grundsätzlich alle Menschen erreichen. Dabei geht es nicht nur um die Beschäftigung mit dem Judentum und jüdischer Geschichte. Die neue Ausstellung beschäftigt sich mit vielen gesellschaftlich, nicht nur für Jüdinnen*Juden, höchst relevanten Themen: beispielsweise Migration, Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft, Erinnerungskultur, dem gesellschaftliche Umgang mit Antisemitismus und Rassismus und Fragen von Zugehörigkeit und Ausschluss. Durch die Beschäftigung mit jüdischen Erfahrungen werden Besuchende angeregt, ihre eigene Geschichte und ihre eigene Position innerhalb unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu reflektieren.

Abgesehen davon ist es unser Ziel, möglichst viele junge Menschen zu erreichen. Das kann uns wohl vor allem über die Schulen gelingen. Um für Jugendliche für sie relevante Fragestellungen und Darstellungsformen zu identifizieren, arbeiten wir mit der Arbeitsgemeinschaft Geschichte (AG) des Gymnasiums Heide-Ost zusammen. In diesem Rahmen sind auch einige Schüler*innen der Heider Gemeinschaftsschule beteiligt. Die Jugendlichen haben mit uns gemeinsam herausgefunden, welche Fragestellungen für sie relevant sind, Ideen für die Ausstellungsgestaltung und Vermittlung der Inhalte entwickelt. Gleichzeitig haben sie von uns gelernt, wie Ausstellungen gemacht werden.

Apropos lernen: Ein weiteres Ziel war ja größtmögliche Barrierefreiheit. Keine leichte Aufgabe in einem historischen Gebäudekomplex…
Ja, das stimmt. Wir arbeiten daher mit Vertreter*innen verschiedener Organisationen von Menschen mit Behinderungen zusammen, haben gemeinsam identifiziert, welche Bedürfnisse es gibt, alle Entwürfe für die Ausstellungsgestaltung diskutiert und über eine behindertengerechte Umsetzung gesprochen. Das historische Gebäude aus dem 19. Jahrhundert stellte uns vor besondere Herausforderungen. Es ist jedoch gelungen, auch die bauliche Barrierefreiheit deutlich zu verbessern. So konnte das Museum den Rahmenbedingungen entsprechend so inklusiv wie möglich gemacht werden. Gerade in einem Jüdischen Museum sind die Zugänglichkeit, der Abbau von Diskriminierungen gegenüber Menschen mit Behinderungen sowie der Respekt der Menschenwürde aller grundlegend.

Wie hat der Prozess der vergangenen Jahre Ihrer Ansicht nach das Jüdische Museum verändert?
Abgesehen von den baulichen Veränderungen sowie der neuen Ausstellung hat sich einiges verändert. Die Annahme, dass ein Museum viele und unterschiedliche Perspektiven benötigt, hat sich für uns durch die Zusammenarbeit mit so vielen Externen in den letzten Jahren bestätigt. Für uns braucht ein Museum radikale Vielfalt, um für möglichst viele Menschen Zugänge zu ermöglichen und gesellschaftlich und politisch relevant zu sein. Deswegen ist für uns auch klar, dass wir die Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen und Personengruppen fortsetzen werden.

Landesmuseen Schleswig-Holstein
schliessen
Nach oben scrollen