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"Archivarbeit ist immer auch Detektivarbeit"

Im Februar startet im Jüdischen Museum eine einzigartige Ausstellung über Überlebende der Shoah in Schleswig-Holstein. Die Schau mit dem Titel "Gerettet, aber nicht befreit" berichtet von bewegenden menschlichen Schicksalen und liefert erstmalig auch einen Gesamtüberblick über die Lebensbedingungen der Verfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Interview gewährt Kurator und Museumsleiter Jonas Kuhn spannende Einblicke in seine Arbeit.

Herr Kuhn, wieso hat sich an dieses große wichtige Thema bislang noch niemand herangewagt?

Zunächst ist es wichtig zu sagen, dass es durchaus bereits vereinzelte Studien zu diesem Thema gibt. Allerdings noch keine, die Schleswig-Holstein in seiner Gesamtheit betrifft. Dafür gibt es meiner Ansicht nach zwei Gründe. Erstens hat die zeithistorische Forschung die Zeit nach 1945 erst in den letzten Jahren für sich entdeckt. Vorher standen Untersuchungen zu der Zeit vor 1945 im Vordergrund. Gerade zu den Anfangszeiten der Forschungen zu jüdischem Leben ging es ja zunächst darum Spuren zu sichern. Es war ja alles in Vergessenheit geraten. 

Und der zweite Grund?

Der bezieht sich auf die Quellenlage. Die Gruppe der Überlebenden bestand in Schleswig-Holstein nur aus wenigen Hundert Menschen, die daher auch wenige Spuren hinterlassen haben. Es verwundert also nicht, dass ich, als ich im Oktober 2018 mit meinen Forschungen begann, öfter zu hören bekam: "Dazu gibt es nichts."

Sie sind ja aber ganz offensichtlich fündig geworden. Wo haben Sie Material über diesen so wichtigen Teil der schleswig-holsteinischen Geschichte gefunden?

Ja, das stimmt. Tatsächlich war ich anfänglich etwas besorgt, ob wir genug Material finden würden, um eine Ausstellung zu schaffen, die über das Beleuchten einzelner Schicksale hinausgeht. Ich habe dann damit begonnen, Menschen zu kontaktieren, die bereits zum jüdischen Leben in Schleswig-Holstein geforscht haben. Selbst wenn deren Fokus nicht auf der Zeit nach 1945 lag, so konnten alle doch hilfreiche Hinweise und Kontakte liefern, die mich weitergebracht haben. Außerdem habe ich verschiedene regionale und überregionale Archive, in denen ich Material vermutete, angeschrieben und gefragt: "Habt ihr was?“. Häufig war die Antwort tatsächlich nein, aber in vielen Archiven bin ich auch fündig geworden.

Wie stellt man sich diese Archivarbeit vor?

Archivarbeit ist immer auch Detektivarbeit. In vielen kleineren Kommunalarchiven haben Sie das Glück, dass die Archivare dort ihre Bestände sehr gut kennen und daher auch direkt auf bestimmte Quellen hinweisen können. Das ist sehr hilfreich und spart viel Zeit. Dennoch haben sie oftmals das Problem, dass die Quellen natürlich erst mal nicht das erzählen, was ich wissen möchte. Ein Beispiel sind die ‚Wiedergutmachungsakten‘, die im Landesarchiv in Schleswig zu finden sind. Es handelt sich dabei um meist mehrere Aktenordner, die im Kontext von behördlichen Vorgängen entstanden sind. Dementsprechend formalisiert ist natürlich auch die Sprache in ihnen. Mein Forschungsinteresse galt nun aber der Frage, wie sich die betroffenen Überlebenden gefühlt haben. Um diese Frage zumindest stellenweise beantworten zu können, haben wir stundenlang diese Akten gewälzt, nur um hier und da mal auf ein entsprechendes Zitat in den Schreiben der Antragssteller zu stoßen.

Was hat Sie besonders bewegt?

Die besondere Herausforderung an dem Thema war seine Komplexität. Die Nachkriegsjahre waren sehr verworren, insbesondere, was Zuständigkeiten angeht. Das bildetete sich auch in den Quellen ab. Da einen Überblick zu bekommen und die Geschehnisse so darzustellen, dass sie in eine Ausstellung passen, das war nicht leicht. In diesem Zusammenhang bin ich besonders dankbar für die vielen persönlichen Kontakte, die ich im Rahmen der Forschungen zu dieser Ausstellung hatte. Besonders bewegend waren die langen Emails eines Überlebenden aus Südamerika, der sehr bemüht war, das Projekt zu unterstützen. Aber auch der Besuch einer Angehörigen hier im Museum war ein sehr schönes Erlebnis. Sie hat sehr viel von ihrer Tante und ihrem Onkel erzählt und es war herrlich, wie diesen Menschen dadurch nochmal ein Stück Leben eingehaucht wurde.

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