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Helene

Rabbinatsstudentin, Berlin, queer

Das Judentum als Religion ist mehr als nur zwei Strömungen. Es sind viele. Ebenso hat jede Person, die sich einer dieser jüdischen Glaubensrichtungen zugehörig fühlt, eine eigene persönliche Religionsauslegung. Diese ist beispielsweise von Traditionen aus der Familie oder auch der jeweiligen Gemeinde mitgeprägt. Für mich bedeutet Judentum viel mehr als die Religion. Es schließt die Kultur, die Küche, die Musik und verschiedene Traditionen und Bräuche ein. Mein Judentum findet auch nicht nur im Gebet statt, sondern in Gesprächen mit anderen Jüd*innen, bei Konferenzen, Seminaren und mit Freund*innen. Durch das Rabbinatsstudium ist mein Glaube in steter Bewegung. Wie in zwischenmenschlichen Beziehungen Änderungen eintreten, so verändert sich auch meine Beziehung zur Religion und zu Gott täglich.

Den Beruf der Rabbinerin fand ich schon als Kind spannend. Ausschlaggebend für meine Entscheidung, diesen Weg einzuschlagen, war letztendlich eine Konferenz in den USA. Dort konnte ich viele junge Rabbiner*innen treffen, hören und kennenlernen. In Deutschland gibt es nicht viele Rabbiner, schon gar nicht viele Rabbinerinnen und noch weniger junge engagierte, die sich für den Wiederaufbau des liberalen Judentums in Deutschland einsetzen. Der Gedanke, dass jüdisches Leben hier so aussehen könnte, mit mehr Raum für Offenheit und Vielfalt, bewog mich, selbst dazu beizutragen. Daher bin ich auch bereit, in den Medien präsent zu sein und mich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das ist mein Beitrag zur Sichtbarmachung der Vielfalt jüdischen Lebens und mein Beitrag zum Aufräumen mit Vorurteilen.

"Mein Anliegen ist vor allem, viele verschiedene Menschen zu erreichen und zu zeigen, dass es nicht DAS Judentum gibt."

Im Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, einem liberalen Rabbinischen Seminar, lerne ich alle notwendigen Skills, um später als Rabbinerin in einer Gemeinde arbeiten zu können. All die Rabbinerinnen, die am Kolleg ausgebildet wurden, und all die Frauen des Judentums, die ich durch ihre Bücher kenne, sind mir nicht nur als Feministin eine Inspiration. Im Theologiestudium habe ich immer wieder Momente, in denen ich in den Texten der Thora und den dazugehörigen Kommentaren versinke. Was für andere vielleicht langweilig ist, ist für mich nicht nur spannend, sondern macht mir auch richtig Spaß.

Mein Lieblingsfest ist Pessach. Ich mag die Komplexität des Festes, die Geschichte über den Auszug aus Ägypten, ihre Bildlichkeit und ganz besonders die Figur der Mirjam, laut dem Talmud eine der sieben Prophetinnen. Durch das Anrichten der verschiedenen Symbole für die Zeit der Sklaverei in Ägypten auf dem Sederteller erhalten diese Sichtbarkeit. Ich finde es auch gut, wenn die traditionellen sechs Symbole erweitert werden. Ein Beispiel: Die Aussage „Eine Orange gehört genauso wenig auf den Sederteller wie eine Frau an die Bima“, also an das Lesepult für die Thora, bewegt mich heute so wie andere Jüd*innen schon früher dazu, eine Orange auf den Sederteller zu legen. Es zeigt: Frauen, Feministinnen, queere Menschen, wir sind alle da. Und manche von uns auch am Lesepult so wie ich.

Konfliktpunkte bezüglich meiner Religion und meiner Queerness hat es für mich persönlich bisher nicht gegeben. Glücklicherweise kann ich mich da auf bereits geleistete Arbeit in der queer-jüdischen Theologie aus den USA und auch aus Deutschland stützen. Es gibt mittlerweile ganze Bücher mit Gebeten und Segenssprüchen, die Gott nicht nur als männlich ansprechen. Für mich passen queer und jüdisch sein hervorragend zusammen und das möchte ich auch anderen Menschen vermitteln. Niemand sollte sich zwischen seiner queeren und jüdischen Identität entscheiden müssen. Aufgrund dieser Überzeugung bin ich Gründungsmitglied des Vereins Keshet, der Räume für jüdische Queers schafft. Keshet ist wie die Orange auf dem Sederteller. Mein Anliegen ist vor allem, viele verschiedene Menschen zu erreichen und zu zeigen, dass es nicht DAS Judentum gibt.

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