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Erik

Kommunikationsberater und Schriftsteller, Lindau, schwul

Das Judentum ist mir nicht gerade in die Wiege gelegt worden. Meine Mutter ist anglikanisch getauft und vom Judentum meines Vaters habe ich erst nach seinem frühen Tod erfahren. In meiner Kindheit und Jugend wurde seine Religion nie konkret thematisiert, obwohl jüdische Verwandte zu Besuch kamen, meine orthodoxe Großtante dann jüdische Gerichte zubereitete und der Weihnachtsbaum Chanukka-Busch genannt wurde. Bis heute ist mir nicht ganz klar, warum mein Vater nicht wollte, dass wir davon wissen. In meinem Heimatort in Connecticut hatte ich eigentlich immer Berührung mit der jüdischen Religion. Es gab eine Synagoge, ich hatte Freunde, die Juden waren, und war regelmäßig zu Bar/Bat Mizwas eingeladen. Erst von meinem Onkel, dem Bruder meines Vaters, habe ich viel über die Familiengeschichte gehört und bin auf diese Weise dem Judentum nähergekommen.

Je mehr ich mich mit dem jüdischen Glauben beschäftigte und hineinwuchs, desto mehr reifte auch die Idee zum Rabbinatsstudium am Jewish Theological Seminary in New York. Ich bin gläubig und ich spürte schon immer die Berufung, etwas Geistliches zu machen. Unterstützt wurde ich bei diesem Vorhaben von einem liberalen Rabbiner, der die Trauerfeier für meine Großtante ausrichtete. Da ich kein Hebräisch konnte, was eine Voraussetzung für das Studium ist, bin ich für mehrere Monate nach Jerusalem gegangen, um die Sprache vor Ort zu lernen.

Je mehr ich mich mit dem Judentum auseinandergesetzt habe, umso mehr bin ich der Orthodoxie nähergekommen. An einem gewissen Punkt stellte sich für mich die Frage: Was für ein Jude bin ich eigentlich? Theologisch gesehen bin ich orthodox. Denn wenn man glaubt, dass die Gesetze von Gott kommen, wie kann dann ein Mensch entscheiden, welche befolgt werden und welche nicht? Das führte zu der Erkenntnis, dass ich nicht guten Gewissens liberal oder reformiert studieren kann, weil es theologisch nicht zu mir passt. Andererseits war es auch sicher, dass mir die Aufnahme an einem orthodoxen Seminar aufgrund meiner Homosexualität verweigert wird. Zugleich beschäftigte mich der Gedanke, ob ich aus meiner Berufung tatsächlich einen Beruf machen möchte. Ich kenne viele Rabbiner, Mönche, Priester. Als Geistlicher musst du immer „on“ sein. Rabbiner zu sein bedeutet, rund um die Uhr, tagein, tagaus jüdisch zu sein. Da ich feststellen musste, dass ich genau das nicht kann und nicht will, entschied ich mich letztlich gegen ein Rabbinatsstudium und ging zurück in die USA. Ich habe studiert und bin seitdem im Bereich der Unternehmenskommunikation tätig und seit Kurzem selbstständig.

"Der Mensch steht im Mittelpunkt und Menschen sind so, wie sie sind. Ich bin jüdisch und schwul."

Mein Coming-out hatte ich an der Universität in den 1990er-Jahren. Es war unproblematisch und in meinem Freundeskreis waren die Reaktionen positiv. Es änderte nichts. In meiner Familie gibt es tatsächlich recht viele Schwule und Lesben, daher war es auch kein Thema. 

Mittlerweile lebe ich seit 23 Jahren in Deutschland und werde noch heute von im Ausland lebenden Juden gefragt, wie ich als Jude in Deutschland leben kann. Ich persönlich habe mit meinem Judentum keine schlechten Erfahrungen gemacht, dennoch ist es hier durchaus ein Thema. Wenn Deutschland in der Modernität ankommen will, dann müssen die Menschen anerkennen, dass eine Gesellschaft immer bunt gemischt ist und alle ein Recht darauf haben, nach ihren Vorstellungen zu leben. Nicht das Festhalten an patriarchalen Strukturen oder Diskussionen über gegenderte Sprache oder den Grad der Diversität bringen Veränderung, sondern die Anerkennung der verschiedenen Identitäten. Der Mensch steht im Mittelpunkt und Menschen sind so, wie sie sind. Ich bin jüdisch und schwul. Was die Glaubensinhalte angeht, identifiziere ich mich weiterhin mit der Orthodoxie. All das spielt bei Lebensentscheidungen eine Rolle. Aber eben nicht die einzige. Vor allem entscheide ich mich dafür, Erik sein zu können.

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