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Ahmed

Blogger, Schriftsteller und Berater, Berlin, queer

Besonders religiös bin ich in Ägypten nicht aufgewachsen. Meine Eltern waren zwar gläubig, wir beteten und fasteten zu Hause, aber es gab keinen Zwang zu religiöser Praxis wie bei manchen meiner Freunde. Als Kind war ich sehr fantasievoll und ein großer Fan von Science-Fiction- Filmen. So habe ich mit meinen Gebetsketten als Puppen gespielt, ich hatte eine blonde und eine dunkelhaarige Figur. Riten und Bräuche sowie ethische Werte sind allerdings sehr wichtig für mich und mein Leben. Mit Anfang 20 spürte ich eine tiefe Wut auf den Umgang mit und die Auslegung von Religion in Ägypten. Religionszugehörigkeit wurde wie etwas Erbliches behandelt und war nicht frei wählbar. Deshalb bezeichnete ich mich eine gewisse Zeit lang als Agnostiker oder gar Atheist. 

Als politischer Aktivist und Blogger und als Teil der queeren Community musste ich Ägypten nach dem Militärputsch im Jahr 2013 verlassen. Ich hatte keine andere Wahl. Auch heute noch birgt die Rückkehr ein Risiko. In Kairo fühlte ich mich gerade in den Jahren nach der Revolution 2011 sehr frei. In der Community herrschte Zusammenhalt, ich hatte innige Freundschaften und es gab viel Verbundenheit und Verbindlichkeit. In meiner Erinnerung ist das eine sehr wertvolle Zeit. 

Kernthemen meiner Texte sind Migration, Exil, Identität und Sexualität. Mit dem Schreiben für meine Blogs habe ich in Ägypten angefangen. In den Jahren 2009/2010 gab es dort eine große Szene für diese Art der Kommunikation und Interaktion. Vor allem waren Blogs ein politisches Instrument in Zeiten des Umbruchs und der Revolution. Ich habe ursprünglich einen medizinischen Background und habe in Kairo im Bereich Sexualität und Gesundheit gearbeitet. Diese Themen waren in der Öffentlichkeit wenig präsent, daher wollte ich durch meine Beiträge einen öffentlichen Diskurs anregen. Mit der Zeit ist mein Schreiben gereift. Seit ich in Deutschland lebe, schreibe ich viel persönlicher und meine Erfahrungen, meine Identität und meine Queerness fließen in die Texte ein.

"Queer zu sein, ist eine offensive selbstbestimmte Art, gesellschaftliche Machtverhältnisse in Verbindung mit der eigenen Identität offenzulegen."

Queer zu sein, ist eine offensive selbstbestimmte Art, gesellschaftliche Machtverhältnisse in Verbindung mit der eigenen Identität offenzulegen. Mein Inviting-in war ebenfalls ein selbstbestimmter Akt. Auf diese Weise habe ich ausgewählte enge Vertraute an meiner queeren Identität teilhaben lassen. Queer zu sein, hat für mich aber auch eine politische Dimension, denn ich bin ein politischer Mensch.

Ich lebe in Berlin seit sieben Jahren. Als Geflüchteter habe ich in Deutschland viele meiner Freiheiten verloren. Die Gesellschaft hier ist sehr individualistisch geprägt. Das trifft auch auf die queere Community in Berlin zu. Es kostet viel Energie, sich ein neues Leben und neue Netzwerke aufzubauen. Außerdem mache ich hier die Erfahrung, dass ich als Muslim stereotyp und klischeebeladen religiös gelesen werde. Immer wieder bestätigen Kommentare und Fragen eine verengte und vereinfachte Sichtweise auf den Islam und diese wird auf mich übertragen. Diese religiöse Zuschreibung deckt sich überhaupt nicht mit meiner Vorstellung von Religion. Mein Islam ist definitiv nicht die Religion von Autoritäten und Institutionen. Es schockiert mich jedes Mal aufs Neue, wie groß der Unterschied zwischen meiner eigenen Identität und der Sicht der Gesellschaft auf mich ist. Aus diesem Grund fällt es mir schwer, die Begriffe Religion und Religiosität auf mich anzuwenden.

Erst später fing ich an, mich intensiver mit dem Islam zu beschäftigen. Ich las religiöse und wissenschaftliche Texte mit queer-feministischem Ansatz. Erst dadurch habe ich verstanden, dass alles Interpretationssache ist. Die Idee, Andersgläubige zu den ‚Anderen’ und Bösen zu machen, beruht auf einem sehr oberflächlichen Verständnis der religiösen Texte. Im Verlauf meines Lebens habe ich mir die Religion zurückerobert, weil ich erkannt habe, dass der Glaube sehr wichtig ist. Denn Fantasie und Glaube sind miteinander verwoben und beides ist für mich als Überlebens- und Heilungskraft sehr wichtig.

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